FMH – Berufsverband
 

Wo viel Licht ist, ist auch Schatten

Tarifrevision Mit dem lange erwarteten Tarifentscheid des Bundesrats können wir nun endlich den TARDOC einführen – sind aber auch mit grotesken Fehlern bei den Pauschalen und einem politischen Globalbudget konfrontiert. Die Hartnäckigkeit, die es für die TARDOC-Genehmigung brauchte, werden wir nun auch für die nächste Etappe benötigen.
Dr. med. Yvonne Gilli, Präsidentin der FMH

Yvonne Gilli
Dr. med., Präsidentin der FMH

Als der Bundesrat am 30. April 2025 seine Entscheidung über das neue ambulante Tarifsystem verkündete, unterbrach die Delegiertenversammlung der FMH ihre Sitzung, um der Medienkonferenz zu folgen. Die Erläuterungen des Bundesrats hinterliessen sehr gemischte Gefühle: Freude darüber, dass nach so langer Arbeit der TARDOC endlich genehmigt wurde, Kopfschütteln darüber, dass wissentlich falsche Pauschalen genehmigt wurden und dazu sehr viele Fragezeichen: Was bedeutet die – noch nie dagewesene – Befristung der Genehmigung? Und wie kann es sein, dass ein Bundesrat abseits aller Gesetze und entgegen dem Willen von Bevölkerung und Parlament ein Globalbudget einführt?

Die Genehmigung des TARDOC ist ein wichtiger Schritt
Der Tarifentscheid des Bundesrats ist einerseits ein grosser Erfolg für uns: Endlich kann die längst überfällige Revision des ambulanten Arzttarifs im Jahr 2026 erfolgen. Über Jahrzehnte setzte sich die Ärzteschaft intensiv unter dem Dach der FMH konstruktiv und lösungsorientiert für einen zeitgemässen Tarif ein. Sechs Jahre nachdem curafutura und die FMH 2019 den TARDOC erstmals beim Bundesrat einreichten und nach unzähligen behördlichen Auflagen und Nachforderungen, zahlen sich unsere hartnäckigen Bemühungen aus. Die bessere Abbildung der erbrachten Leistungen im TARDOC sind nicht nur für Ärztinnen und Ärzte wichtig, sondern auch für die Bevölkerung zentral.

Gute ambulante Versorgung dank sachgerechtem Tarif
Ein Gesundheitswesen, das immer mehr ambulant statt stationär versorgen kann und soll, ist dringend auf einen zeitgemässen Tarif angewiesen: Die korrekte Vergütung ohne Über- und Untertarifierungen bildet das Fundament einer effizienten Gesundheitsversorgung und einer sinnhaften Berufsausübung, die sich abseits aller Fehlanreize allein an den Bedürfnissen der Patienten und Patientinnen ausrichten kann. Der TARDOC bringt hier viele Fortschritte: Er bildet z.B. die sprechende Medizin besser ab, ermöglicht mehr Koordinations- und Umfeldarbeit und schafft bessere Rahmenbedingungen für chronic-care-management, ambulante Palliativversorgung, interprofessionelle Leistungen und Telemedizin. Und das Wichtigste ist: Mit der Genehmigung kann er nun jährlich durch die Tarifpartner im Rahmen der OAAT weiterentwickelt werden und aktuell bleiben.

Die FMH begrüsst Pauschalen – wenn sie gesetzeskonform sind
Das neue ambulante Tarifsystem beinhaltet jedoch nicht nur den TARDOC – es umfasst auch die viel diskutierten ambulanten Pauschalen, die durch santésuisse und H+ erstmals im Dezember 2023 eingereicht und unter hohem politischen Druck bereits im Juni 2024 durch den Bundesrat teilgenehmigt wurden. Angesichts vieler Missverständnisse zu diesen Pauschalen sei hier deutlich klargestellt: Selbstverständlich befürwortet die FMH ambulante Pauschalen – sofern diese sachgerecht sind und den gesetzlichen Anforderungen entsprechen. Und natürlich unterstützt die FMH nicht die teilweise grotesk fehlerhaften Pauschalen im neuen ambulanten Tarifsystem!

Medienkonferenz zum Tarifentscheid am 30. April 2025

Die bundesrätliche Medienkonferenz zum Tarifentscheid hinterliess am 30. April 2025 in der Delegiertenversammlung der FMH sehr gemischte Gefühle. (Foto: FMH)

Zustimmung zum Tarif war die einzige Chance auf Fehlerbehebung
Doch warum hat die FMH der Einreichung des ambulanten Tarifsystems mit TARDOC und Pauschalen dann im Herbst 2024 zugestimmt? Dafür gibt es zwei Gründe. Erstens war die Genehmigung des TARDOC dringend erforderlich, damit dieser nicht bereits vor seiner Einführung hoffnungslos veraltet. Und zweitens war diese Zustimmung zwingend notwendig, damit wir die Pauschalen verbessern können! Denn wir hatten nicht die Wahl, ob diese Pauschalen kommen oder nicht. Der Bundesrat hatte die Pauschalen im Juni 2024 bereits genehmigt, und angekündigt, dass sie auf jeden Fall einführt werden. Wir standen nur vor der Wahl, ob diese Pauschalen als Amtstarif des Bundes festgesetzt werden – und wir keinerlei Einfluss mehr nehmen können – oder ob sie tarifpartnerschaftlich eingeführt werden, so dass uns noch Chancen für Verbesserungen bleiben. Mit ihrer Zustimmung zur tarifpartnerschaftlichen Einreichung hat die FMH die einzige Chance für eine möglichst schnelle Behebung der Fehler genutzt. Und sie hat erreicht, dass alle Tarifpartner den Korrekturbedarf samt Fahrplan zur Fehlerbehebung in einer Begleitvereinbarung festhielten.

Es gibt keinen Grund gravierende Fehler nicht unverzüglich zu beheben
Nun ist die neue Tariforganisation OAAT gefordert dem Bundesrat einen Vorschlag vorzulegen, welche Anpassungen der Pauschalen noch unmittelbar für das Inkrafttreten auf 2026 zu priorisieren sind. Dies ist angesichts der über 200 Anträge auf Verbesserungen keine einfache Aufgabe – aber die einzige Möglichkeit grössere Probleme durch massive Unter- und Übertarifierungen noch abzufangen. Leider gleichen sich nämlich nur bei sachgerechten Pauschalen Abweichungen der Vergütung nach oben und unten aus. Wenn aber falsch konstruierte Pauschalen für Behandlungen mit völlig unterschiedlichen Kosten dieselbe Vergütung vorsehen (Beispiele im Kasten), ist ein solcher Ausgleich schlicht nicht möglich!

Wir sagen JA zur Kostenneutralität – aber klar NEIN zum Globalbudget
Der gefährlichste Dammbruch beim Tarifentscheid ist jedoch, dass der Bundesrat erstmals ein politisch willkürliches, ambulantes Globalbudget festgelegt hat. Dies unterscheidet sich fundamental von der per Verordnung geforderten Kostenneutralität: Die Verordnung fordert, dass der Wechsel des Tarifmodells keine Mehrkosten verursachen darf (KVV 59c, Abs. 1c). Diese Vorgabe haben die Tarifpartner eindeutig erfüllt, wie selbst der Bundesrat anerkennt: Durch die Tarifumstellung werden die Kosten für dasselbe Leistungsvolumen nicht steigen (statische Kostenneutralität) und für die ersten Anwendungsjahre wurde sichergestellt, dass sich die Änderungen durch die Tarifumstellung innerhalb eines Korridors von -1% bis +1.5% pro versicherte Person bewegen (dynamische Kostenneutralität).

Mehr ambulante Behandlungen müssen auch mehr kosten dürfen
Die jahrelange Detailarbeit der Tarifpartner zur Erfüllung der vielen Vorgaben des Bundes wischt der Bundesrat nun einfach vom Tisch, indem er der Patientenversorgung – Handgelenk mal Pi – ein Globalbudget überstülpt. Jedes Wachstum der ambulanten Gesamtkosten über 4% soll demnach die Ärzteschaft bezahlen. Von der Tarifrevision vollständig unabhängige Mehrkosten wie z.B. durch eine unerwartete krisenbedingte Immigration, die Alterung der Gesellschaft, neue Behandlungen und sogar die gewollte und politisch geförderte Ambulantisierung werden damit der Ärzteschaft in Rechnung gestellt. Dies widerspricht nicht nur der Verfassung und dem Willen der Bevölkerung, die sich mit 63% gegen eine pauschale Kostenbremse aussprach, es riskiert auch spürbare Engpässe in der Patientenversorgung. Zudem sabotiert ein solches Budget das Bestreben «ambulant vor stationär» zu behandeln – und provoziert somit paradoxerweise unnötige Spitalaufenthalte und vermeidbare Kosten.

Mit Hartnäckigkeit zum Erfolg
Da die Schweiz keine Verfassungsgerichtsbarkeit kennt, muss die FMH alle noch so schwierigen Entscheide akzeptieren – und wird sich umso stärker engagieren die bestehenden Probleme zu lösen. Neben der dringenden Verbesserung der Pauschalen werden wir darauf drängen, dass dieses unrechtmässige Globalbudget mit seiner Befristung wirklich wieder verschwindet und nicht zum Präjudiz für weitere staatliche Tarifvorgaben ohne gesetzliche Grundlage wird. Auch die neu etablierte Befristung der Tarifgenehmigung darf kein Dauerzustand werden, um die gesetzlich vorgesehene Tarifpartnerschaft endlich leben zu können. All das zu erreichen wird sehr schwierig, ist aber nicht unmöglich, wie die bisherigen Erfolge der Standespolitik zeigen: Der TARDOC ist endlich da und die Tarifgestaltung immer noch Aufgabe der Tarifpartnerschaft. Hartnäckigkeit zahlt sich aus – und dies werden wir auch auf der nächsten Etappe unter Beweis stellen.

Wie lassen sich die Probleme mit den Pauschalen einfach erklären?

Beispiel 1: Patientenpauschale C14.40B Äussere Wendung oder Entfernung von Zervixcerclage

  • Ausgangslage: Wenn vor der Geburt ein Baby in Beckenendlage in der Gebärmutter liegt, kann von aussen versucht werden, es manuell in die optimale Position zu drehen. Wegen der damit verbundenen Risiken erfolgt dieser Eingriff in Operationsbereitschaft im Spital, so dass sofort ein Kaiserschnitt durchgeführt werden könnte. Eine Zervixcerclage hingegen ist eine Art Nahtverschluss um den Gebärmutterhals, der während einer Schwangerschaft vermeiden soll, dass dieser sich zu früh öffnet. Die Entfernung der Zervixcerclage erfolgt gegen Ende Schwangerschaft mit einer kleinen Zange in wenigen Minuten.
  • Aufwand: Die äussere Wendung dauert gemäss TARMED 50 Minuten und findet im Spital mit Bereitschaft für Kaiserschnitt statt. Die Zervixcerclage dauert gemäss TARMED 8 Minuten und kann auch in der Praxis erfolgen.
  • Auswirkung: Wegen der grossen Unterschiede in Dauer, Aufwand und Durchführung der Prozeduren unterscheiden sich diese im TARMED bislang um das 7-fache. Neu werden sie jedoch mit derselben Pauschale vergütet. Diese Fehltarifierung weicht von den realen Kosten entweder nach oben oder unten ab. Dies gleicht sich jedoch nicht aus, schon alleine weil in einer ambulanten Arztpraxis ausschliesslich Entfernungen von Zervixcerclagen, aber keine äusseren Wendungen durchgeführt werden können.

Beispiel 2: Patientenpauschale C04.51C Bronchoskopie wegen Verdacht auf Lungenkrebs

  • Ausgangslage: Bei Verdacht auf Lungenkrebs wird eine Lungenspiegelung durchgeführt. Das aus der Lunge entnommene Gewebe wird anschliessend für die Diagnosestellung in der Pathologie untersucht. Je nachdem, ob sich der Verdacht erhärtet oder nicht, müssen viele weitere Untersuchungen an dem Material vorgenommen werden – oder nicht.
  • Aufwand: Ohne einen Krebsbefund kosten die pathologischen Untersuchungen etwa 350 CHF, mit einem Krebsbefund können die Zusatzuntersuchungen jedoch bis zu 3'450 CHF kosten.
  • Auswirkung: Obwohl sich die Kosten für die Untersuchungen des Probenmaterials in Fällen mit und ohne Krebsbefund um den Faktor 10 unterscheiden, wird die Lungenspiegelung immer mit derselben Pauschale abgegolten. Angesichts der grossen Unterschiede kann ein Ausgleich nicht erwartet werden. Zu viele Lungenkrebs-Patienten würden zu einem erheblichen finanziellen Risiko.

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