Bereits 2010 startete die FMH alleine das umfassende Revisionsprojekt «Tarvision» zur Ablösung des damals schon veralteten und nicht mehr sachgerechten Einzelleistungstarif TARMED. Der TARMED wurde seit seiner Einführung 2004 nicht mehr wirklich gepflegt und auch nicht weiterentwickelt. In der damaligen paritätischen Tariforganisation TARMEDsuisse AG bestand von Beginn an eine Pattsituation, da wegen des vorgegebenen Prinzips der Einstimmigkeit keine substanziellen Entscheidungen gefällt werden konnten.
Aus Revisionsprojekt «Tarvision» wird «TARDOC»
2012 stiessen die H+ und die MTK zum Revisionsprojekt «Tarvision». Anfang 2016 schloss sich dann auch noch der Versicherverband curafutura dem Revisionsprojekt an. Die Tarifpartner FMH, curafutura, MTK und H+» gründeten als Nachfolgeorganisation der «TARMEDsuisse AG» die «ats-tms AG» (Arzt-Tarif-Schweiz). Eine erste Version des Arzttarifs scheiterte dann aber 2016 bei der Urabstimmung der FMH und der Tarif wurde auch von den Versicherern der curafutura und der santésuisse abgelehnt.
Nach einem Neustart 2017 entwickelte die «ats-tms» bis 2019 den neuen Einzelleistungstarif «TARDOC». Allerdings stieg sich der Spitalverband H+ per Ende Oktober 2018 aus der ats-tms AG aus. In der Folge entwickelte die H+ zusammen mit santésuisse und der Dachorganisation der invasiv tätigen Spezialärzte (FMCH), ambulante Pauschalen. Später schied dann aber die FMCH wegen grundlegenden Differenzen aus der Organisation „solution tarifaires suisse SA“ (sts), welche die ambulanten Pauschalen entwickelte, aus.
Einreichung des TARDOC beim Bundesrat
Im Mai 2019 stimmten die Organe der FMH mit grosser Mehrheit dem Einzelleistungstarif «TARDOC» zu. Da auch curafutura den Vorschlag genehmigte, stand einer tarifpartnerschaftlichen Einreichung von TARDOC beim Bundesrat nichts mehr im Wege. Seitdem lag der Einzelleistungstarif TARDOC in den Schubladen des Bundesamtes für Gesundheit BAG. Nachdem sich dann auch der Versicherer SWICA dem TARDOC anschloss, stand eine Mehrheit sowohl der Versicherer wie auch der Leistungserbringer hinter TARDOC. In der Folge haben das BAG und der Bundesart immer wieder neue Auflagen und Anpassungen im Hinblick auf eine Genehmigung des TARDOC eingefordert. Es wurden weitere, gemäss den Forderungen des Bundesrates angepasste TARDOC Versionen zur Genehmigung eingereicht.
2023 wurden erstmals auch ambulante Pauschalen von santésuisse und H+ dem Bundesrat zur Genehmigung eingereicht.
Am 19. Juni 2024 beschloss der Bundesrat eine Teilgenehmigung für die Tarife TARDOC und die ambulanten Pauschalen und legte dabei umfassende Vorgaben für die Koordination der beiden Tarifstrukturen fest. Die Tarifpartner wurden aufgefordert, eine aktualisierte Fassung bis zum 1. November 2024 zur endgültigen Genehmigung einzureichen. Andernfalls würde das neue ambulante Tarifsystem vom Bundesrat zur Einführung am 1. Januar 2026 hoheitlich festgesetzt.
Unter Führung der neuen ambulanten Tariforganisation OAAT AG (Organisation Ambulanter Arzt Tarif), welche Ende 2022 gegründet worden ist, wurde dieses Gesamt-Tarifsystem der beiden Tarifstrukturen unter Mitwirkung aller Tarifpartner (FMH, H+, santésuisse, curafutura und MTK) weiterentwickelt und zusammen mit einer gemeinsamen Begleitvereinbarung aller Tarifpartner dem Bundesrat am 31. Oktober 2024 erneut zur Genehmigung eingereicht.
Was hat der Bundesrat genehmigt?
Am 30.04.2025 hat nun der Bundesrat eine auf drei Jahre befristete Genehmigung des Gesamt-Tarifsystems bestehend aus dem Einzelleistungstarif TARDOC 1.4 und den 315 Ambulanten Pauschalen 1.1 bis Ende 2028 beschlossen. Zudem hat er auch die mit dem Gesamt-Tarifsystem eingereichte gemeinsame Begleitvereinbarung aller Tarifpartner zur Überarbeitung der Pauschalen und zur Regelung der Korrekturen der dynamischen Kostenneutralität genehmigt. Der Bundesrat hat die Genehmigungen aber auch an Auflagen geknüpft.
Die wichtigsten Vorgaben und Auflagen des Bundesrates
Die wichtigste und einschneidendste Auflage ist sicherlich die Deckelung des Anstiegs der Gesamtkosten bei maximal 4% pro Jahr. Dies bedeutet 3% pro Jahr für sämtliche ambulante ärztliche Leistungen pro versicherte Person und 1% für das durchschnittliche Bevölkerungswachstum. Man bedenke, dass das Bevölkerungswachstum 2023 bereits 1,7% betrug. Die 3% müssen die Kostensteigerungen bedingt durch die Demografie, den medizinischen Fortschritt und das gewollte Shifting von stationären zu ambulanten Leistungen abdecken. Das ist ausgesprochen anspruchsvoll und entspricht nicht der Realität. Die Verlagerung von stationären Leistungen in denambulanten Bereich ist von Politik und Öffentlichkeite explizit gewünscht und gefordert. Diese Verlagung führt im stationären Bereich zu Einsparungen. Die Kosten verlagern sich in den ambulanten Bereich, dort wirdaber kein Budget dafür zur Verfügung gestellt. Dass ist stossend und entspricht somit faktisch einem Globalbudget, wofür es im KVG für den ambulanten Bereich keine gesetzliche Grundlage gibt. Der Bundesrat beruft sich bei diesen Massnahmen teilweise auf den politischen Willen (Postulate, Motionen, Kostendämpfungspakete), was aber keine rechtsverbindlichen Grundlagen im Sinne von Gesetzes- oder Verordnungsrecht darstellt.
Wird der Wert von 4% überschritten, müssen die Tarifpartner Korrekturmassnahmen ergreifen.
Auch die Befristung der Genehmigung bis Ende 2028 ist ungewöhnlich, da im KVG grundsätzlich Kontrollmechanismen bei den Tarifstrukturen bereits vorgegeben sind.
Die Tarifpartner werden auch aufgefordert, für den ambulanten ärztlichen Bereich eine gesamtschweizerische Vereinbarung über die Qualitätsentwicklung (Qualitätsvereinbarung) gemäss Artikel 58a KVG abzuschliessen. Diese Vereinbarung müssen die Tarifpartner dem Bundesrat spätestens gleichzeitig mit dem nächsten Antrag auf Genehmigung von neuen Versionen der Tarifstrukturen zur Genehmigung vorlegen.
Die Tarifpartner sind auch aufgefordert, grundsätzlich die Taxpunktwerte des Jahres 2025 zum Zeitpunkt der Einführung der beiden Tarifstrukturen unverändert zu lassen. Später sind Taxpunktwertverhandlungen der Tarifpartner aber wieder möglich.
Was verlangt die «Begleitvereinbarung»?
Der Bundesrat hat die mit den Tarifstrukturen eingereichte «Begleitvereinbarung» als integraler Bestandteil des Tarifvertrags genehmigt.
Die Geschäftsstelle der OAAT muss die genehmigten Pauschalen müssen unter Einbezug der entsprechenden Fachgesellschaften überprüfen und für die Tarifversion auf den 01.01.2027 überarbeiten.
Das Monitoring muss sicherstellen, dass im praxisambulanten Bereich die Leistungen der Grundversorgung von spezialärztlichen Leistungen abgrenzbar, separat auswertbar und separat gesteuert werden können. Die OAAT AG stellt auch sicher, dass bei Anpassungen der Tarifstrukturen oder Steuerung im Rahmen der dynamischen Kostenneutralität allfällige Korrekturen verursachergerecht erfolgen müssen.
Was ist noch zu tun ?
Zur Zeit ist die Geschäftsstelle der OAAT unter Hochdruck damit beschäftigt, die Vorbereitungsarbeiten unter Mitwirkung der Tarifpartner im Koordinationsgremium, voranzutreiben. Die FMH hat zusammen mit der Ärztekasse verschiedene Tools und Informationsunterlagen entwickelt. Die FMH hat auch eine Hotline eingerichtet um den Übergang in die neue Tarifwelt für unsere Mitglieder möglichst reibungslos zu gestalten. Der «Lernbrowser» ist ein weiteres Kernstück dieser Unterstützungsinstrumente. Auf der Webseite: www.tarifeambulant.fmh.ch können sich die Mitglieder umfassend informieren und die zur Verfügung gestellten Tools und Unterlagen nutzen. Zudem informiert die FMH ihre Mitglieder laufend über die verschiedenen Kommunikationskanäle auch über den Prozess der Besitzstandwahrung und was dazu nötig ist. Direkte physische Schulungen und Workshops kann aber die FMH selber aus Ressourcengründen nicht anbieten.
Inzwischen wurde innerhalb der OAAT unter Einbezug der Fachgesellschaften auch mit der Überprüfung der ambulanten Pauschalen begonnen und es wird abgeklärt, inwieweit allenfalls begrenzte Korrekturen von offensichtlichen Fehlern bei den Pauschalen noch vor der Einführung des neuen Tarifsystems am 01.01.2026 möglich sind.
Voraussichtlich im dritten Quartal 2025 werden wir auch noch eine freiwillige und zeitlich begrenzte Pilotphase mit doppelter Erfassung der Leistungen durchführen. Es werden Leistungen sowohl im TARMED wie auch im neuen TARDOC oder allenfalls –je nach Leistung – auch als Pauschalen erfasst. So lässt sich testen, ob es bei der Erfassung der Leistungen noch Abstimmungsprobleme gibt bei den beiden Tarifstrukturen. Erstmals lässt sich dann auch vergleichen, was die Auswirkungen der neuen Tarifstrukturen sind und ob die Simulationen die reale Anwendung des TARDOC und der ambulanten Pauschalen in der Praxis bestätigen.
Fazit
Grundsätzlich begrüsst die FMH den Entscheid des Bundesrates endlich den hoffnungslos veralteten und nicht mehr sachgerechten TARMED Tarif durch das neue ambulante Gesamttarifsystem zu ersetzen. Allerdings darf nicht unterschätzt werden, dass uns noch sehr grosse Herausforderungen bevorstehen, die neuen Tarifstrukturen TARDOC und ambulante Pauschalen gemeinsam mit einem «Kaltstart» am 01.01.2026 einzuführen. Immerhin geht es um ein Volumen von jährlich rund 13 Milliarden. Oberstes Gebot muss deshalb die Patientensicherheit und auch weiterhin die umfassende Gewährleistung der Versorgung der Bevölkerung sein. Zudem verstösst dieses Globalbudget gegen das in unserer Verfassung verankerte Versicherungsprinzip: Die Tarifierung versicherter Pflichtleistungen darf nicht so verändert werden, dass die Leistungen wegen fehlender Kostendeckung nicht mehr erbracht werden und damit die Versorgung der Bevölkerung gefährdet ist.
Die FMH wird jedenfalls alles daransetzen, dass bei der Einführung des neuen und komplexen, kombinierten Tarifsystems das Wohl für unsere Patientinnen und Patienten immer Mittelpunkt und im Vordergrund steht.
Am 30. April 2025 erfolgte die Genehmigung des neuen ambulanten Tarifsystems, bestehend aus TARDOC 1.4 und 315 ambulanten Pauschalen, durch den Bundesrat. Damit ist ein weiterer Meilenstein eines langen Weges erreicht, angefangen vom 2010 gestarteten Projekt «Tarvision», über die erste Einreichung des TARDOC durch FMH und curafutura im Jahr 2019 bis hin zur Gründung der gemeinsamen Tariforganisation OAAT AG im Jahr 2022.
Die Genehmigung verbindet der Bundesrat mit diversen Auflagen: Sie erfolgt befristet bis 2028, erlegt den ambulanten Leistungen mit einer maximalen Kostensteigerung von 4% ein Globalbudget auf und fordert für die Einführung unveränderte Taxpunktwerte. Zudem ist auf Basis der Begleitvereinbarung die Überarbeitung der Pauschalen bis 2027 und ein differenziertes Kostenmonitoring mit verursachergerechten Korrekturen erforderlich.
Nun wird die OAAT unter Hochdruck die Einführung koordinieren und auch die vor der Einführung 2026 noch umsetzbaren Korrekturen der Pauschalen prüfen müssen. Die FMH bietet Informationen und Unterstützung für ihre Mitglieder und testet das System zudem mit Hilfe einer doppelten Leistungserfassung. Wir begrüssen den Systemwechsel, warnen aber vor erheblichen Risiken insbesondere durch das neue Globalbudget: Die Versorgungssicherheit und das Patientenwohl müssen oberste Priorität bleiben.